„Hilfe bedeutet, stabile Strukturen aufzubauen“ - Interview mit Prof. Ivan Lugovoi

Seit rund anderthalb Jahren führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Im Rahmen einer gemeinsamen Konferenz am 15. November nehmen die KLU und der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (OA) die Folgen des Krieges unter die Lupe: Welche Herausforderungen ergeben sich für Logistik und Lieferketten? Welche Herausforderungen stellt der Aufbau der ukrainischen Wirtschaft? Wie haben sich die deutschen Wirtschaftsbeziehungen in die Region entwickelt? Im Vorfeld der Konferenz sprachen wir mit KLU-Fakultätsmitglied und Pharma-Experte Prof. Ivan Lugovoi, der aus fachlicher und persönlicher Expertise seine Einschätzungen teilt.
Ivan Lugovoi blickt auf mehr als zwanzig Jahre Erfahrung in der pharmazeutischen Industrie zurück. Der Wirtschaftswissenschaftler und gebürtige Ukrainer ist Experte für Fragen rund um den Vertrieb, Logistik, Produktion und Qualitätsmanagement in der Pharmazie-Branche und wird am 15. November als Experte am Panel zum Supply-Chain-Management in Osteuropa teilnehmen. Die Herausforderungen hier sind komplex – und das nicht nur aufgrund des Krieges, verrät er in unserem Interview.
Wie wirkt sich Ihrer Meinung nach die jüngste Krise in der Ukraine auf die Pharmalogistik in der Region aus?
Prof. Ivan Lugovoi: Die Ukraine war bisher kein bedeutender Akteur auf dem Pharmamarkt, was zum Teil auf die politische Instabilität, Vertrauens- und Korruptionsprobleme zurückzuführen ist. Die pharmazeutische Industrie erfordert erhebliche Investitionen und einen attraktiven lokalen Markt, beides war in der Ukraine nur schwer zu erreichen. Ich selbst sende meiner Mutter und Großmutter Medikamente in die Ukraine, da sie vor Ort nicht verlässlich zu erhalten sind, was Qualität und Verfügbarkeit angeht. Die jüngste Krise und die anhaltende Instabilität erschweren die Situation zusätzlich.
Was hat Sie selbst in den Bereich „Pharma“ und damit schließlich an die KLU geführt?
Lugovoi: Je mehr Erfahrungen ich sammelte, desto mehr erkannte ich das Potenzial für positive Veränderungen und Innovationen in diesem Bereich. Ich bin zur KLU gekommen, um weiterhin einen Beitrag zur pharmazeutischen Industrie und ihrer Lieferkette zu leisten und gleichzeitig nach Möglichkeiten zu suchen, mein Fachwissen weiterzugeben. Zuvor war ich in verschiedenen Positionen in der pharmazeutischen Industrie tätig, und während meines Postdocs an der University of the State arbeitete ich auch zwei Jahre für die Ohio State University.
Welche Rolle spielt die Pharma-Industrie bei globalen Krisen und Konflikten? Kann sie zur Lösung beitragen?
Lugovoi: Die Pharmaindustrie kann eine Rolle spielen, indem sie die Verfügbarkeit und Qualität von Medikamenten in Krisenzeiten sicherstellt. Jetzt geht es vorrangig um humanitäre Hilfe. Es ist jedoch wichtig, lokale Probleme wie Korruption, vertrauenswürdige Qualitätskontrolle und Zuverlässigkeit der Lieferkette anzugehen. Außerdem können internationale Zusammenarbeit und Investitionen dazu beitragen, die Logistik der Medizin in der Region zu stabilisieren.
Ein weiteres Kernthema des Ost-Ausschusses ist der Green Deal der Europäischen Union und seine Auswirkungen in Osteuropa. Betrifft das auch den Bereich „Pharma“?
Lugovoi: Der Green Deal und seine Nachhaltigkeitsziele sind auch für die pharmazeutische Industrie von entscheidender Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf Logistik und Lieferketten. Aktuell wird beispielsweise daran gearbeitet, den Einsatz von Seefracht in der Pharmabranche zu erhöhen. Diese wichtigen Entwicklungen, die in vielen Ländern Osteuropas ohnehin noch keinen großen Raum einnehmen, können durch Krisen weiter in den Hintergrund geraten. Daher ist es wichtig, das Thema Nachhaltigkeit nicht aus den Augen zu verlieren, wozu eine Vereinigung wie der Ost-Ausschuss beiträgt.

Konferenz: Russlands Angriffskrieg – Herausforderungen für Logistik und Lieferketten in der Ukraine und Osteuropa 2023-2024
Diskutieren Sie mit uns: Vor gut eineinhalb Jahren begann der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Dieser stellt auch die Logistik und die Sicherung von Lieferketten vor erhebliche Herausforderungen. Gemeinsam mit Expert*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, darunter S.E. Oleksii Makeiev, Botschafter der Ukraine in Deutschland, wollen wir mit Ihnen diskutieren: Welche Folgen hat der Krieg für die deutschen Wirtschaftsbeziehungen mit der Ukraine und Osteuropa? Welche Herausforderungen müssen für den Wiederaufbau der ukrainischen Wirtschaft gelöst werden? Welchen Beitrag kann Hamburg als Außenwirtschaftsstandort dazu leisten?
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